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hedi
zuber 1916 - 1996
1928 kam
die Familie nach Gossau im St.Galler Fürstenland, erst für
zwei
Monate in ein Abbruchobjekt, dann in ein Haus am Rande des Dorfes.
Essens-
vorräte habe es keine gegeben, so dass die Mäuse den Teppich
zerfressen
hätten. Jedes Familienmitglied trug sein Scherflein zum Lebensunterhalt
bei,
und bei größter Bescheidenheit schafften sie gemeinsam,
was bei der
heutigen Lebensform niemals möglich gewesen wäre. Hedi nähte
zu Hause
Bubenschürzchen und klebet in Heinarbeit Papiertüten. In
einem Bild
erzählt die Malerin heute aus der Erinnerung, wie sie eben geklebten
Tüten
jeweils aufblasen musste, damit diese nicht zusammenklebten: Sie sitzt
in der 400 Jahre alter Wohnung mit der durchhängenden Decke und
bläst und
bläst, derweil der Vater vorübergebeugt in einem Stuhl inmitten
der
aufgeblasenen Tüten schläft und die Katzen in diesem sonderlichen
Dekor
eine wilde Unordnung schaffen.
Mit
17 Jahren trat Hedi Zuber in die Wäschefabrik Müller in
Gossau ein. 40
Jahre lang hat sie, teils am Fliessband, in Gossau und später
in St.Gallen
Blusen, Hemden und Unterwäsche genäht. Und sie hat den Untergang
einiger
Textilfirmen miterlebt: Da bekam sie "nur noch einige Batzen
in die Hand
gezählt" und bald darauf den Bescheid sie könne gehen,
man könne sie nicht
mehr bezahlen. Mit 57 Jahren musste die invalide Frau die Berufsarbeit
aus Gesundheitsgründen aufgeben; ihre Knochen und Gelenke machten
die
Belastungen nicht mehr mit.
Innerhalb
eines Jahrfünfts verlor Heidi Zuber dann kurz hintereinander
ihre
82 jährige Mutter und ihre 62 jährige Schwester Elisabeth,
die an Krebs
erkrankt waren, sowie ihren 92 jährigen Vater. Zu fünft
hatten sie ihr Leben
zusammen verbracht, waren aufeinander angewiesen gewesen, und plötzlich
blieben die scherbehinderte Hedi Zuber und ihr jüngerer Bruder
Alfred allein.
Das
Geschwisterpaar zog nach Bruggen, einem Außenquartier der Stadt
St.Gallen. Für einige Zeit wenigstens, denn später folgten
noch etliche Umzüge.
Der Bruder musste täglich zur Arbeit in eine Schraubenfabrik
nach dem
rheintalischen Reineck fahren. Seiner Schwester Hedi aber bedeutete
und
bedeutet es heute noch immer ein großes Erlebnis, ein Abenteuer
gar,
"in die Stadt" zu reisen und dort Menschen zu sehen, auch
wenn diese anonym
bleiben. Ihre ständigen Gliederschmerzen zwingen sie zwar zu
einer ge-
mächlichen Gangart, und abwärts sind die Treppen nur noch
rückwärts und
mit größter Vorsicht zu bewältigen. Hedi Zuber blieb
ihr ganzes Leben
lang nichts anders übrig, als die Dinge langsam zu tun, Geduld
zu haben
und warten zu können. Der Bahnhofwartesaal ist ihr deshalb ein
vertrauter
Aufenthaltsort. Nicht nur Varlin und Dürrenmatt suchten besonders
gerne
Wartsäle auf, wo so manches döste, was später dann
in ihrem Werk erwachte.
Schicksalhafte
Begegnung
Im
Wartsaal des St.Galler Hauptbahnhofes wurde denn auch, ohne dass sie
sich dessen damals bewusst geworden wäre, die große Wende
in Heidi
Zubers Leben eingeleitet. Sie begegnete Jakob Greuter, dem um 26 Jahre
älteren Kübelleerer der Städtischen Kehrichtabfuhr
St.Gallen, dem ver-
schlossenen Einzelgänger, der für sich zu Hause wie besessen
zeichnete,
meist die Zeitung mit Bild und Text abzeichnete und im Verborgenen
ein
immenses und unvergleichliches Werk schuf. Der Sonderling und alleweil
Beiseite geschobene vermutete in der invaliden Frau wohl rein gefühlsmäßig
eine verwandte Seele, obwohl sie sich damals noch keineswegs der
Malerei zugewandt hatte. Er versuchte, sie zu sich heranzuwinken.
Hedis
Zubers Vater, der damals noch lebte, jedoch verbot ihr, "mit
so einem
zu sprechen".
Jakob
Greuter und Hedi Zuber haben einander schließlich doch noch
kennen-
gelernt. Er hat ihr bei sich zu Hause im St.Galler Arbeiterquartier
Lachen
seine Zeichnungen gezeigt, die seine ganz privaten Schätze waren,
und von
da an saß die kleine Frau häufig in Greuters Stube. Sie
fühlte sich bei Gleich-
gesinnten wohl. Redselig wurde der Kübelleerer deswegen nicht.
Doch
Heidi Zuber genügte es, ihm beim Zeichnen zuzusehen und ihn mit
der ganzen
Kraft ihres Kinderherzens zu bewundern.
[quelle:
Simone
Schaufelberger-Breguet]
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