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Simone Schaufelberger-Breguet] 2 / 4

hedi zuber 1916 - 1996

1928 kam die Familie nach Gossau im St.Galler Fürstenland, erst für zwei
Monate in ein Abbruchobjekt, dann in ein Haus am Rande des Dorfes. Essens-
vorräte habe es keine gegeben, so dass die Mäuse den Teppich zerfressen
hätten. Jedes Familienmitglied trug sein Scherflein zum Lebensunterhalt bei,
und bei größter Bescheidenheit schafften sie gemeinsam, was bei der
heutigen Lebensform niemals möglich gewesen wäre. Hedi nähte zu Hause
Bubenschürzchen und klebet in Heinarbeit Papiertüten. In einem Bild
erzählt die Malerin heute aus der Erinnerung, wie sie eben geklebten Tüten
jeweils aufblasen musste, damit diese nicht zusammenklebten: Sie sitzt
in der 400 Jahre alter Wohnung mit der durchhängenden Decke und bläst und
bläst, derweil der Vater vorübergebeugt in einem Stuhl inmitten der
aufgeblasenen Tüten schläft und die Katzen in diesem sonderlichen Dekor
eine wilde Unordnung schaffen.

Mit 17 Jahren trat Hedi Zuber in die Wäschefabrik Müller in Gossau ein. 40
Jahre lang hat sie, teils am Fliessband, in Gossau und später in St.Gallen
Blusen, Hemden und Unterwäsche genäht. Und sie hat den Untergang einiger
Textilfirmen miterlebt: Da bekam sie "nur noch einige Batzen in die Hand
gezählt" und bald darauf den Bescheid sie könne gehen, man könne sie nicht
mehr bezahlen. Mit 57 Jahren musste die invalide Frau die Berufsarbeit aus Gesundheitsgründen aufgeben; ihre Knochen und Gelenke machten die
Belastungen nicht mehr mit.

Innerhalb eines Jahrfünfts verlor Heidi Zuber dann kurz hintereinander ihre
82 jährige Mutter und ihre 62 jährige Schwester Elisabeth, die an Krebs
erkrankt waren, sowie ihren 92 jährigen Vater. Zu fünft hatten sie ihr Leben
zusammen verbracht, waren aufeinander angewiesen gewesen, und plötzlich
blieben die scherbehinderte Hedi Zuber und ihr jüngerer Bruder Alfred allein.

Das Geschwisterpaar zog nach Bruggen, einem Außenquartier der Stadt
St.Gallen. Für einige Zeit wenigstens, denn später folgten noch etliche Umzüge.
Der Bruder musste täglich zur Arbeit in eine Schraubenfabrik nach dem
rheintalischen Reineck fahren. Seiner Schwester Hedi aber bedeutete und
bedeutet es heute noch immer ein großes Erlebnis, ein Abenteuer gar,
"in die Stadt" zu reisen und dort Menschen zu sehen, auch wenn diese anonym
bleiben. Ihre ständigen Gliederschmerzen zwingen sie zwar zu einer ge-
mächlichen Gangart, und abwärts sind die Treppen nur noch rückwärts und
mit größter Vorsicht zu bewältigen. Hedi Zuber blieb ihr ganzes Leben
lang nichts anders übrig, als die Dinge langsam zu tun, Geduld zu haben
und warten zu können. Der Bahnhofwartesaal ist ihr deshalb ein vertrauter
Aufenthaltsort. Nicht nur Varlin und Dürrenmatt suchten besonders gerne
Wartsäle auf, wo so manches döste, was später dann in ihrem Werk erwachte.

Schicksalhafte Begegnung

Im Wartsaal des St.Galler Hauptbahnhofes wurde denn auch, ohne dass sie
sich dessen damals bewusst geworden wäre, die große Wende in Heidi
Zubers Leben eingeleitet. Sie begegnete Jakob Greuter, dem um 26 Jahre
älteren Kübelleerer der Städtischen Kehrichtabfuhr St.Gallen, dem ver-
schlossenen Einzelgänger, der für sich zu Hause wie besessen zeichnete,
meist die Zeitung mit Bild und Text abzeichnete und im Verborgenen ein
immenses und unvergleichliches Werk schuf. Der Sonderling und alleweil
Beiseite geschobene vermutete in der invaliden Frau wohl rein gefühlsmäßig
eine verwandte Seele, obwohl sie sich damals noch keineswegs der
Malerei zugewandt hatte. Er versuchte, sie zu sich heranzuwinken. Hedis
Zubers Vater, der damals noch lebte, jedoch verbot ihr, "mit so einem
zu sprechen".

Jakob Greuter und Hedi Zuber haben einander schließlich doch noch kennen-
gelernt. Er hat ihr bei sich zu Hause im St.Galler Arbeiterquartier Lachen
seine Zeichnungen gezeigt, die seine ganz privaten Schätze waren, und von
da an saß die kleine Frau häufig in Greuters Stube. Sie fühlte sich bei Gleich-
gesinnten wohl. Redselig wurde der Kübelleerer deswegen nicht. Doch
Heidi Zuber genügte es, ihm beim Zeichnen zuzusehen und ihn mit der ganzen
Kraft ihres Kinderherzens zu bewundern.


[quelle: Simone Schaufelberger-Breguet]










 


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